Die Reform des europäischen Insolvenzrechts - EuInsVo 2015

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Das Europäische Parlament hat am 20.05.2015 die Reform der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) beschlossen.

Die Reform des europäischen Insolvenzrechts - EuInsVo 2015

Das Europäische Parlament hat am 20.05.2015 die Reform der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) beschlossen. Dem vorangegangen war ein in der Fachwelt vielbeachteter, am 12.12.2012 vorgelegter Reformvorschlag der Europäischen Kommission. Nachdem dieser Vorschlag zur Erörterung und Annahme an das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union geleitet war, legte der Rat am 20.11.2014 einen geänderten Vorschlag vor, der die Ergebnisse der Diskussionen im Parlament und in der Fachwelt berücksichtigte. Die Reform tritt am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft und ist im Wesentlichen anwendbar ab dem zweiten Jahrestag ihres Inkrafttretens. Das bedeutet, dass die Regelungen für alle ab Juni 2017 eröffneten Insolvenzverfahren Anwendung finden. Für Handlungen aus der Zeit vor Inkrafttreten der reformierten EuInsVO gilt weiterhin das bisherige Recht (Art. 84, 92 EuInsVO). Nachfolgend sollen die praktisch relevanten Änderungen der Reform kurz dargestellt werden:

Anwendbarkeit auf vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren

Der Anwendungsbereich der Verordnung wird in Art. 1 nunmehr ausdrücklich auf vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren erweitert. Die erfassten Verfahren sind in Anhang A der Verordnung abschließend geregelt. In Deutschland sind dies weiterhin das Konkursverfahren, das gerichtliche Vergleichsverfahren, das Gesamtvollstreckungsverfahren und das Insolvenzverfahren inklusive der Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO. Obwohl selbst im Ausland domizilierte Gesellschaften bereits über das Scheme of Arrangement aus dem englischen Gesellschaftsrecht saniert wurden, ist dieses Verfahren nicht in den Katalog aufgenommen; das entsprach auch dem englischen Interesse.

Internationale Zuständigkeit

Die Regelung des Art. 3 EuInsVO zur örtlichen Zuständigkeit des Mitgliedstaats wurde konkretisiert. Wie bisher sind die Gerichte des Mitgliedstaats örtlich zuständig für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Center of Main Interest – COMI). Dieses COMI wird nunmehr in Art. 3 im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (insbesondere der Entscheidungen Eurofood und Interedil) definiert als der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Die Vermutung, dass das COMI einer juristischen Person sich an deren Sitz befindet, gilt nach der Neufassung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht mehr, wenn die Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag erfolgte. Neu ist auch eine entsprechende COMI-Vermutung für natürliche Personen, und zwar für selbständig Tätige am Ort ihrer Hauptniederlassung und für nicht selbständig Tätige an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort, soweit nicht innerhalb der letzten drei (Selbständige) oder sechs (Nichtselbständige) Monate vor dem Eröffnungsantrag eine Verlegung aus einem anderen Mitgliedstaat erfolgte.

Mit den ausführlichen Ergänzungen des Art. 3 EuInsVO soll ausdrücklich die Rechtsprechung des EuGH zur örtlichen Zuständigkeit Eingang in die Verordnung finden und das sogenannte „forum shopping“ eingedämmt werden, mit dem unternehmerische und private Schuldner ein für sie vermeintlich günstigeres Verfahren in einem Mitgliedstaat anstreben, in dem nicht der Mittelpunkt ihrer Interessen liegt. Das vom EuGH stets geforderte COMI-Kriterium der Erkennbarkeit für Dritte wurde damit zum Schutz des Vertrauens der Gläubiger durch Aufnahme in Art. 3 EuInsVO gestärkt.

Annexzuständigkeit für Klagen des Insolvenzverwalters

Ebenfalls in Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung (Deko Marty) sieht der reformierte Art. 6 EuInsVO die örtliche Zuständigkeit der Prozessgerichte des Mitgliedstaats vor, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dieser einheitliche örtliche Gerichtsstand gilt für alle Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Der Insolvenzverwalter kann damit vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet ist, auch gegen Beklagte aus anderen Mitgliedstaaten klagen. Art. 6 EuInsVO nennt als Beispiel ausdrücklich Anfechtungsklagen. Weiter dürften mindestens sämtliche insolvenzspezifischen Klagen erfasst sein, bei denen die Aktivlegitimation nur einem Insolvenzverwalter zusteht, also insbesondere Haftungsrealisation aus dem Insolvenz- und Gesellschaftsrecht (z.B. § 88 InsO, § 171 Abs. 2 HGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO sowie i.V.m. §§ 283 ff. StGB, § 92 InsO) und Klagen im Zusammenhang mit § 103 InsO. Diese Bündelung der Zuständigkeit im eröffnenden Mitgliedstaat soll nach dem Willen des Verordnungsgebers die Effizienz und Wirksamkeit der Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitender Wirkung steigern.

Sekundärinsolvenzverfahren

Ein auf das Vermögen im eröffnenden Mitgliedstaat begrenztes Sekundärinsolvenzverfahren kann künftig nach Art. 36 EuInsVO durch den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens vermieden werden, wenn er den lokalen Gläubigern im Mitgliedstaat des potentiellen Sekundärverfahrens mit deren Billigung zusichert, sie so zu stellen, wie sie bei Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens stehen würden. Hierdurch soll der Gefahr begegnet werden, dass Sekundärverfahren sinnvolle Gesamtlösungen erschweren oder verhindern. Der Hauptinsolvenzverwalter hat die Zusicherung zu begründen und nach dem Recht des Staates abstimmen zu lassen, in dem das Sekundärverfahren droht. Er haftet für die Erfüllung der Zusicherung.

Internationales Konzerninsolvenzrecht

Die reformierte EuInsVO enthält nunmehr auch umfangreiche Regelungen für die Abwicklung von Konzerninsolvenzen. Wie der aktuelle Entwurf für die dritte Stufe der Reform der InsO sieht die EuInsVO keine materiell-rechtliche Konsolidierung von Verfahren und Vermögen von Unternehmensgruppen vor. Vielmehr werden diverse Kooperations- und Kommunikationsregelungen zur Koordination der Verfahren eingefügt. In Art. 2 Ziff. 12 EuInsVO wird eine Unternehmensgruppe als ein Mutterunternehmen und seine sämtlichen Tochterunternehmen definiert. Die Art. 56 ff. EuInsVO regeln die Pflichten zur Kooperation von Insolvenzgerichten und Insolvenzverwaltern verschiedener Gesellschaften der Unternehmensgruppe. Die Art. 61 ff. führen ein Koordinationsverfahren ein, das ein Koordinationsgericht und einen Koordinationsverwalter vorsieht. Letzterer kann Empfehlungen für die Abwicklung der Verfahren geben und etwa einen Gruppenkoordinationsplan nach Art. 72 EuInsVO vorlegen. Hierin können Maßnahmen für einen gemeinsamen Ansatz zur Bewältigung der Insolvenz der Gruppenmitglieder definiert werden. Der Koordinationsverwalter kann zudem in den einzelnen Verfahren angehört werden. Die Insolvenzverwalter der Gruppenunternehmen können jedoch gegen das Gruppenkoordinationsverfahren jeweils Widerspruch einlegen und dadurch Wirkungen des Koordinationsverfahrens auf das jeweilige Verfahren ausschließen.

Die Regelungen zur Kooperation und Koordination der Gerichte und Verwalter über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg setzen somit auf eine „geleitete Freiwilligkeit“. Ob sie in der Praxis angenommen und zu besseren Ergebnissen in der Konzerninsolvenz führen werden, bleibt abzuwarten. Quelle: Florian Harig

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